Drei gesellschaftskritische Themen in Blood Over Bright Haven


Written by Ginny
Drei gesellschaftskritische Themen in Blood Over Bright Haven


Written by Ginny
Wenn du am Ende wütend zurückbleibst, dann hat dieses Buch alles richtig gemacht.
Wie fängt man eine Rezension an, wenn man eigentlich sprachlos ist? Vielleicht kennt ihr das Gefühl, das gewisse Geschichten bei euch hinterlassen. Dass das Gelesene so gewaltig ist, so viel Raum einnimmt, dass man es erst mal sacken lassen muss. Das beschreibt Blood Over Bright Haven ziemlich gut. Obwohl es jetzt schon ein bisschen her ist, seitdem ich das Buch verschlungen habe, hallt dieses Gefühl immer noch nach. Es hat wahrhaftig einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Immer wieder kehren meine Gedanken zum Gelesenen zurück. Und wenn ich mir aktuell von einem Buch wünschen könnte, dass alle Leute es lesen, dann wäre es dieses. Drei Themen, die das Buch meiner Meinung nach hervorragend aufgreift und es für mich zu einem Must-read machen, sind Inklusiver Feminismus vs. Weißer Feminismus, Elitismus & Kolonialismus und Good vs. Bad Immigrant.
Zunächst eine kurze Inhaltsangabe
Ihr ganzes Leben lang arbeitet Sciona Freynan darauf hin, Hochmagierin zu werden. Und das ist alles andere als ein leichtes Unterfangen für die strebsame Studierende – bisher hat es keine Frau geschafft, am Hohen Magisterium der Universität für Magie und Industrie zugelassen zu werden. Als Sciona ihr Ziel erreicht und sie tatsächlich die Aufnahmeprüfung erfolgreich übersteht, muss sie jedoch feststellen, dass sie sich damit keinesfalls die Anerkennung der männlichen Kollegen verdient hat. Ganz im Gegenteil: Augenblicklich beginnt ein erbitterter Machtkampf, bei dem manche ihrer Rivalen zu jeglichen Mitteln greifen – wie etwa, Sciona statt eines qualifizierten Laborassistenten einen ungelernten Hausmeister zur Seite zu stellen. Fest entschlossen, sich nicht schikanieren zu lassen, arbeitet Sciona fortan allerdings nur noch gewissenhafter und deckt so schon bald ein uraltes Geheimnis auf, das den Lauf der Magie und der Geschichte für immer verändern könnten.
Hinweis: Vielen Dank an den Verlag zur Bereitstellung des Rezensionsexemplars.
Fantasy ist Eskapismus – doch nicht selten auch ein erschreckend realistischer Spiegel unserer Gesellschaft. Wer mutig genug ist, Blood Over Bright Haven als das zu lesen, was es ist, wird auf brutale und ungeschönte Art und Weise mit dem eigenen Denken und Handeln konfrontiert. Das Buch zeigt den Kampf einer Frau in einer männerdominierten Arbeitswelt, der Wissenschaft, und die tagtäglichen Herausforderungen in einer patriarchalen Gesellschaft, eingebettet in eine Geschichte voller Magie und Mystik.
Magie trifft Wissenschaft – Der Weltenbau von Blood Over Bright Haven
Der Weltenbau in Blood Over Bright Haven ist eher zweitrangig; vieles wird einfach vorausgesetzt und wenig erklärt, was aber für die Geschichte auch relativ unerheblich ist, da der Fokus nicht auf einer epischen Fantasywelt, sondern auf den sozialen und politischen Gefügen liegt. Das Magiesystem ist besonders – Magie trifft Wissenschaft, Übernatürliches wird mit Mathematik & Physik verwoben. Gerade der Einstieg in das Buch ist schon sehr theoretisch (und ich bin mir immer noch nicht ganz sicher, ob ich alles so ganz genau verstanden habe 😅), was es am Anfang vielleicht ein bisschen erschweren könnte, Zugang zur Geschichte zu finden, aber dran bleiben lohnt sich, da man das ganze Magiesystem nicht zwingend durchblicken muss. Es geht vielmehr um die Charaktere und deren Dynamik.


Charaktere und die Frage nach dem Feminismus
Das wirklich Beeindruckende an dem Werk von Wang ist meines Erachtens, dass die Protagonistin Sciona kein wirklich liebenswerter oder sympathischer Charakter ist. Ganz im Gegenteil: Sie fungiert als Paradebeispiel für Elitismus. Obwohl Sciona es auf Grund ihrer eigenen Erfahrung als Frau, die stets und ständig diskriminiert wird, anders wissen müsste, ist sie selbst gegenüber anderen kein bisschen besser. Sie fühlt sich (vermutlich zurecht) den meisten ihrer Mitmenschen in puncto Intelligenz überlegen, stellt aber auch die Mehrklassengesellschaft, in der sie lebt, überhaupt nicht in Frage. Für sie sind die Kwen, zu denen auch ihr späterer Laborassistent Thomil gehört, völlig selbstverständlich Unterschicht, da sie unkultiviert und ungebildet sind. Damit sehen wir anhand des Charakters Sciona, wie politische Propaganda das Denken und Handeln eines hochintelligenten Menschens beeinflussen und steuern kann. Ich würde sie zu Beginn auch nicht als Feministin bezeichnen – ihre Motive, als erste Frau an der Universität als Hochmagierin zu arbeiten, sind vordergründig egoistischer Natur und dienen nur zu kleinen Teilen dazu, anderen Frauen den Weg in die Wissenschaft zu ebnen. Darüber hinaus bringt die Autorin hier das Thema Feminismus vs. White Feminism ins Spiel. Sciona sieht sich selbst als unterdrückte Frau, zieht aber gedanklich eine Grenze, wenn es beispielsweise um die Rechte der Kwen-Frauen geht.
Character-driven Story
Im Verlauf der Handlung wird sehr gut deutlich, wie Sciona beginnt, alles, was sie bisher zu wissen glaubte, in Frage zu stellen. Meiner Meinung nach ist dieser innere Konflikt, den sie austrägt, extrem authentisch, was die Geschichte so unglaublich emotional macht. Ich könnte hier ganze Abhandlungen zur Charakterentwicklung schreiben, aber ich belasse es dabei, um nicht zu viel vorweg zu nehmen, da diese Entwicklung im Zentrum des Buches steht. 😄

Kolonialismus & Ausbeutung
Blood Over Bright Haven ist ein ganz fantastisches Beispiel dafür, dass Lesen politisch ist und Fantasy Gesellschaftskritik ausüben kann. Das dominierende Thema in diesem Werk ist Kolonialismus und die Ausbeutung von Einwanderern. Zu diesem Punkt gehe ich nicht zu sehr ins Detail, um die Geschichte nicht zu spoilern. Allgemein formuliert: Das Buch wirft die Frage auf, inwiefern der Mensch bereit ist, die eigenen Bedürfnisse über jene zu stellen, die für den den Erhalt des eigenen Lebensstandards ausgebeutet werden. In der heutigen Zeit ist das definitiv ein Aspekt, den wir alle reflektieren sollten. Sind wir bereit auf unsere eigenen Annehmlichkeiten zu verzichten, wenn andere Menschen dadurch weniger leiden müssen? Ist es uns überhaupt bewusst, wo manche unserer Ressourcen herkommen und wer diejenigen sind, die dafür hart arbeiten oder gar sterben müssen?
Good vs. bad immigrants
Schon zu Beginn der Geschichte erleben wir eine Situation, die widerspiegelt, was auch in unserer Gesellschaft problematisch ist: das “Good Immigrant”-Narrativ. Der Charakter Thomil flüchtet mit seiner Familie nach Tiran, um sich vor dem Feuerbrand zu retten, der das Land und die Menschen vernichtet. Auf der Flucht sterben seine Begleitpersonen und nur mit Mühe und Not schafft Thomil es an die Pforten von Tiran, mit seiner kleinen Nichte im Arm. Die Wachen wollen ihn zunächst abweisen und wieder zurück schicken, da angeblich kein Platz für weitere Einwanderer sei. Jedoch wird seine körperliche Verfassung begutachtet und er anhand seiner Fähigkeit zu arbeiten bewertet, was ihm letztlich doch das Asyl gewährt. Wang zeigt hier ganz deutlich Kritik, dass Schutzsuchende in unserer Gesellschaft viel zu häufig anhand ihrer “Brauchbarkeit” für das System kategorisiert werden. An vielen Stellen im Buch regt die Autorin mit ihrer, teils unterschwelligen, teils offensichtlichen, Kritik zum Nachdenken und Reflektieren an.
Fazit
Meine schier endlos lange Rezension lässt vermuten, dass ich das Buch wirklich grandios finde. (Und die Tatsache, dass ich es eingangs bereits erwähnte…) Ich muss zugeben, der Einstieg fiel mir ein bisschen schwer, da auch das Magiesystem recht komplex ist, aber die Eigenheit der Charaktere – insbesondere Sciona – gestaltete das Lesen doch sehr unterhaltsam. Ich kann wirklich nur empfehlen, dranzubleiben, da es sich absolut lohnt. Für mich ein gelungenes Meisterwerk, das ich auch Nicht-Fantasy-Lesenden empfehlen würde, weil es emotional und poetisch ist.
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Sehr gut geschriebene Rezension. Das Buch hat mich auch tief beeindruckt und bewegt. Gerade auch Scionas Charakterentwicklung fand ich sehr nachvollziehbar und spannend. Jetzt freue ich mich auf Sword of Kaigen von der Autorin, das im Herbst auch beim Adrian Verlag erscheinen wird.
Vielen Dank, liebe Melissa! ☺️ Vor allem, dass du dir die Zeit genommen hast, meinen Gedankenstrom hier zu lesen. 😄 Auf Sword of Kaigen freue ich mich auch schon sehr – die Erwartungen sind hoch!
Liebe Ginny – genau meine Themen! Ich freue mich darauf, diesen Roman irgendwann zu lesen und werde dabei sicher an dich denken. Deinen kompletten Text werde ich erst nach dem Buch lesen, denn in diesem Fall möchte ich ganz unvoreingenommen an das Lesen herangehen 🙂
Und gut, dass du deine Seite weiter befeuerst mit deinen Gedanken, Emotionen und Worten 🙂
Liebe Grüße
Sandra
Ich danke dir, liebste Sandra! Ich freue mich schon, wenn du das Buch gelesen hast und wir uns darüber austauschen können 💖